Die Wahl im Iran wird das Ausmaß der Oppositionsdynamik außerhalb des politischen Systems offenbaren

NWRI- Iraner reißen Plakate von Ebrahim Raisi herab, dem bei der Farce der Wahl des Präsidenten des Regimes führenden Kandidaten.

Heute endet die Farce der Wahlkampagne des iranischen Regimes; die Wahl soll am Freitag stattfinden. Doch weithin wird verstanden, daß die Wahl nur eine Formsache ist, an der die überwältigende Mehrheit der Iraner nicht teilnehmen wird. Diese Tatsache wird sogar von staatlichen Medien des Iran anerkannt. Während der vergangenen Wochen wurde die Wahl als illegitim verurteilt – und dies im Zusammenhang mit verschiedenen Demonstrationen zu verschiedenen Themen, unternommen von verschiedenen Gruppen. Rentner demonstrierten, um auf ihre zunehmende Schwierigkeit aufmerksam zu machen, die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Lebens zu bezahlen; Arbeiter versammelten sich, um die Löhne zu fordern, die ihnen vorenthalten werden; Investoren der Mittelklasse demonstrierten gegen die Verluste, die ein Investitionsbetrug der Regierung ihnen eingebracht hat. In allen diesen Fällen hörte man, wie die Demonstranten Slogans gleich diesem skandierten: „Wir haben keine Gerechtigkeit erlebt; wir gehen nicht mehr zur Wahl.“

Iranische Funktionäre und Presseorgane bezeichneten diese Bekräftigung des Boycotts als Zeichen des zunehmenden Einflusses der Gruppe demokratischer Dissidenten. Ihre Warnungen vor dieser Gruppe gehen mindestens bis zum Beginn des Jahres 2018 zurück – dem ersten einer Reihe von Aufständen mit ihren Slogans, die in den Diskussionen der Organisation der Volksmojahedin des Iran (PMOI/MEK) entstanden waren. Der Aufstand erreichte mehr als 100 Städte und bekundete die kollektive Forderung eines Rücktritts oder Ausschlusses aller führenden Funktionäre und einer Zurückweisung sowohl der „Hardliner“ als auch der Reformer unter den führenden iranischen Politikern.

Diese letztere Forderung wurde deutlich wiederholt während des Boycotts der Wahl von Februar 2020, obwohl ihre Bedeutung für den politischen Prozeß des Iran im Vorfeld der Parlamentswahlen – und mehr noch vor der Kampagne zur Präsidentenwahl – etwas abnahm. Obwohl die gegenwärtige Boycott-Bewegung ihre Wurzeln bis zu dem Aufstand von Januar 2018 zurückverfolgen kann, wurde sie doch durch die Anerkennung der Tatsache, daß die Wahl des Freitags noch eine größere Farce darstellt als ihre Vorläufer, bedeutend vergrößert.

Die Reputation Ebrahim Raisis entstand recht eigentlich während des Sommers des Jahres 1988, als er eine der Schlüsselfiguren von Teherans „Todeskommission“ war. Diese hatte den Auftrag, politische Gefangene zu verhören und zu entscheiden, wer von ihnen sich zu den MEK immer noch loyal verhielt und daher ein Opfer der summarischen Hinrichtungen werden sollte. Im ganzen Lande beaufsichtigten ähnliche Todeskommissionen die Massen-Hinrichtung und geheime Bestattung von mehr als 30 000 politischen Gefangenen; Raisis Gruppe in Teheran war verantwortlich für die Mehrheit von ihnen.

Wer ist Ebrahim Raisi – Kandidat bei der Präsidentenwahl im Iran und Henker bei dem Massaker von 1988?

Das Erbe der Brutalität, das Raisi hinterläßt, hat sich seitdem ständig weiter entwickelt – bis hin zu seiner Amtszeit als Leiter der Justiz. Acht Monate nachdem er diesen Posten übernommen hatte, wurde sein Engagement für gewalttätige Repression durch den Ausbruch eines zweiten Aufstandes im ganzen Lande auf den Prüfstand gestellt. Die Unruhen von November 2019 brachen in annähernd 200 Städten spontan aus und nahmen sofort die Unterstützung des Regime-Wandels wieder auf, die bereits die Bewegung von Januar 2018 geprägt hatte. Im Gegenzug eröffneten die Behörden das Feuer auf Massen von Demonstranten, unternahmen massenhafte Verhaftungen und begannen mit der systematischen Folter an den Inhaftierten. Am Ende bestätigte Reuters die Zählung des NWRI, derzufolge während des Aufstandes binnen weniger Tage 1500 Todesschüsse abgegeben wurden. Die Zahl der folgenden Verhaftungen wird auf etwa 12 000 geschätzt; ein Bericht von Amnesty International über den Aufstand bemerkt, daß noch während einiger Monate nach dem Aufstand gefoltert wurde.

Es besteht kaum ein Zweifel: Die Intensität dieser Niederschlagung wurde durch die Tatsache gesteigert, daß beide Aufstände unweigerlich mit den MEK in Verbindung gebracht wurden – dem Hauptziel der Todeskommissionen während des Massakers von 1988. Da es sich so verhält, liegt es am Tage, daß dem von den MEK angeführten verbreiteten Boycott der Wahl weitere repressive Maßnahmen folgen werden, besonders wenn, wie vorausgesagt wurde, dem Boycott ein weiterer landesweiter Aufstand nach sich zieht, der „noch viel intensiver sein und sich weiter verbreiten wird als seine Vorläufer in früheren Jahren“.

Die Erinnerung an den Aufstand, der im November 2019 nach einer sprunghaften Zunahme des Benzinpreises das ganze Land überzog

Offensichtlich wird das religiöse Regime durch diese Aussicht in Panik versetzt. Ein Presseorgan, das mit Khameneis Fraktion der Hardliner eng verbunden ist, das „Studentische Nachrichten-Netzwerk“, sagte über die zunehmende Unterstützung der MEK: „Es ist nicht klar, daß wir diese Tendenz selbst mit tausenden von Maßnahmen zum Halten bringen könnten.“ Weiterhin heißt es in dem Artikel: Obwohl Teheran die staatlichen Sicherheitskräfte aufbietet, die Propaganda koordiniert und ehemalige Mitglieder der MEK zu einer umfassenden Anstrengung einsetzt, um die Kraft dieser Bewegung zu brechen, „rekrutiert dieser opportunistische Feind immer noch in großem Ausmaß Jugendliche“.

Die Wahl am Freitag wird die neueste und wahrscheinlich eine der bedeutendsten Anzeichen dessen sein, wie groß dies Maß wirklich ist. Es liegt am Tage, daß die iranischen Behörden auf das Ergebnis achten und ihre Reaktion darauf schon planen. Die amerikanischen und europäischen Politiker müssen Gleiches tun. Sie haben nicht nur die Pflicht, Teherans Reaktion vorwegzunehmen und ihre eigene Reaktion darauf zu planen; sie muß auf dem Verständnis dessen aufbauen, daß auf die Übernahme der Präsidentschaft durch Raisi schwere Menschenrechtsverletzungen folgen werden, es sei denn, es intervenierte jemand, um sie zum Halten zu bringen und die Politik der Beschwichtigung zu beenden.