„Gemäßigte“ Iraner berufen sich auf die „Unabhängigkeit“, um die Verantwortung für provokative Handlungen zu leugnen

Von Alejo Vidal Quadras

In der vorigen Woche kaperten Marinetruppen, die zum Corps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran gehören, in der Straße von Hormuz einen unter der Fahne Süd-Koreas fahrenden Tanker. Praktisch jeder unabhängige Beobachter dieses Vorfalls erkannte sofort, daß die iranischen Behörden damit Druck auf eine südkoreanische Delegation ausüben wollten, deren Besuch des Iran vorgesehen war – zur Erörterung einer möglichen Freigabe von sieben Milliarden Dollars, dem Erlös iranischer Ölvorräte, die entsprechend den von den USA verhängten Sanktionen eingefroren worden sind.

Natürlich machte sich das Regime in dieser Woche daran, die offenkundige Verbindung zwischen den beiden Ereignissen zu leugnen. Der Außenminister des Regimes, Javad Zarif, sagte den südkoreanischen Besuchern, die Freigabe des Schiffs und seiner Mannschaft obliege iranischen Gerichten; die Regierung sei daran nicht beteiligt. Diese Art, zu argumentieren, kennt man von Zarif und anderen sogenannten ‚gemäßigten‘ Funktionären des Regimes: Man leugnet die Verantwortung für provokative Maßnahmen und ermöglicht es zugleich dem Regime, sich den durch sie gewonnenen Vorteil zur Erpressung zu Nutze zu machen.

In den zurückliegenden Jahren berief man sich auf die angebliche Unabhängigkeit der iranischen Justiz als Ursache dessen, daß Funktionäre der Regierung in einer großen Anzahl von politisch brisanten Fällen das Eingreifen verweigerten. Das änderte aber nichts daran, daß eben solche Fälle durch Gefangenenaustausch, Zahlung von Lösegeld und andere Arrangements gelöst wurden, mit denen die politischen Absichten bestätigt zu werden schienen, die den von den iranischen Behörden vorgenommenen Verhaftungen bzw. seinen Anschuldigungen zu Grunde lagen.

Ein Beispiel: Am Anfang des Jahres 2016, als das soeben unter-zeichnete Nuklearabkommen in Kraft treten sollte, ordnete der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, die Entlassung von 21 iranischen Staatsbürgern aus amerikanischen Gefängnissen bzw. die Einstellung gegen sie gerichteter strafrechtlicher Verfahren an – als Gegenleistung dagegen, daß der Iran vier Amerikaner entlassen hatte, die wegen frei erfundener Verstöße gegen die Sicherheit verhaftet worden waren. Außerdem erhielt der Iran 700 Millionen Dollar in bar als erste Rate einer Rückzahlung Jahrzehnte alter Schulden zwischen beiden Ländern.

Bald darauf wurden weitere Staatsbürger der beiden Länder auf ähnliche Weise im Iran verhaftet; sie traten an die Stelle der entlassenen. Und damit ist noch nichts gesagt über die Bewohner anderer westlicher Länder, die eine gleiche Behandlung erfahren haben: Oftmals wurden sie der Spionage oder des Versuchs, das theokratische Regime des Iran zu stürzen, bezichtigt – offensichtlich einzig aufgrund des „Beweises“, den ihre Verbindungen mit westlichen Freunden und Kollegen darstellten. Derzeit befindet sich mindestens eine derart betroffene Person, Ahmadreza Djalali, auf der Todesliste in einem iranischen Gefäng-nis; ihm droht die Hinrichtung.

Zunächst lag gegen ihn anscheinend kein Grund vor, ihn als Geisel zu nehmen; doch im vergangenen Jahr präsentierte sich ein solcher Grund, und Teheran strengte sich ersichtlich an, ihn auszunutzen. Ende November wurde die Gefahr seiner Hinrichtung besonders akut: Er wurde plötzlich in Einzelhaft verlegt – eine Maßnahme, die oft zur Vorbereitung der Exekution dient. Damit hing eng der Beginn eines strafrechtlichen Verfahrens in Europa zusammen, das einen ranghohen iranischen Diplomaten betraf, der beschuldigt wurde, einen Bombenanschlag auf eine Versammlung iranischer Exulanten vor den Toren von Paris geleitet zu haben. Teheran hatte viel dafür getan, die Europäer zu seiner Entlassung zu zwingen – ohne Erfolg. Damit, daß man Djalali den Tod androhte, setzte man offenbar diese Maßnahmen fort, denn er hatte zuvor in Belgien einen akademischen Posten besetzt, und eben dort findet nun der Prozeß gegen den Terror-Diplomaten Assadollah Assadi statt.

 

Der Diplomat des Iran und der größte Terror-Anschlag in Europa – worin bestand die Rolle von Assadollah Assadi?

Das Regime folgt bei seinen nuklearen Unternehmungen der gleichen Erpressungstaktik. Der NWRI sagt in einer Erklärung: „Sämtliche Maßnahmen, die das religiöse Regime im vergangenen Jahr ergriffen hat, besonders die Anreicherung auf 20%, verstoßen gegen das Nuklearabkommen von 2015; sie hinterlassen keinen Zweifel daran, daß es seinen Plan, eine Atombombe zu bauen, niemals aufgegeben hat.“ Und weiter heißt es in der Erklärung: „Und zugleich bediente es sich der gesamten Hilfe und der Konzessionen, die aus dem Nuklearabkommen hervorgehen, um den Export des Terrorismus, die Kriegstreiberei und die Repression im Lande zu steigern. Und es beutet die politische Lage in den Vereinigten Staaten aus, um seine westlichen Partner zu erpressen, damit sie sich blind stellen zu seinem Raketenprogramm, seinem Export des Terrorismus und seinen Einmischungen in der Region.“

All das trat am vergangenen Montag offen zu Tage, als der Leiter der Außenpolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, auf die vom Iran betriebene Erpressung reagierte; er sagte in seiner Erklärung: „An diesem kritischen Wendepunkt birgt die Maßnahme des Iran das Risiko in sich, die Anstrengungen zu untergraben, die auf den vorhandenen diplomatischen Prozeß bauen. Wir fordern den Iran auf, von weiterer Eskalation abzusehen und die Richtung seines Handelns unverzüglich umzukehren.“

Er fuhr fort, die Europäische Union „hoffe auf die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung der Vereinigten Staaten“.

Bei allem wurde die westliche Politik gegenüber dem Regime von dem Glauben an den Wert der Beziehungen zu den gemäßigten Gestalten beeinflußt. Dabei zeigt die Geschichte des Regimes, die schon vier Jahrzehnte umfaßt, daß diese Beziehungen sich niemals auf bedeutsame Weise ausgezahlt haben. Außerdem unterstreichen viele von den wichtigen Geiselnahmen, die bisher stattfanden, die Tatsache, daß es zwischen der „gemäßigten“ Fraktion und den „Hardlinern“, die mit dem IRGC verbunden sind, keine wirkliche Trennung gibt. Der freundliche Umgang mit den einen ist in Wirklichkeit ebenso zwecklos wie die Beschwichtigung der anderen.

Diese Lehre müssen Südkorea und die gesamte internationale Gemein-schaft im Kopf behalten, wenn sie sich mit der Bewältigung der letzten großen Geiselnahme befassen. Sie müssen begreifen: Wenn iranische Funktionäre wie Außenminister Zarif sich weigern, zu Gunsten der Opfer dieses Vorfalls einzugreifen, so liegt es nicht daran, daß sie nicht die Macht besäßen, dem IRGC Einhalt zu gebieten, sondern es liegt daran, daß sie sich vor allem mit den „Hardlinern“ abstimmen und ihnen die schmutzige Arbeit gestatten, die ihnen verfügbare Hebelwirkung einzusetzen, während das Außen-ministerium hinter dem Schirm plausibler Leugnung verhandelt.

Es handelt sich hier nicht um bloße Spekulationen über die Absichten Teherans. In verschiedenen Zeiten und Situationen haben die „Gemäßigten“ unumwunden zugegeben, daß ihre Rolle darin besteht, eine Charme-Offensive zu betreiben, die vertrauenswürdig erscheint und dabei doch die Ziele der Hardliner verfolgt.

Obwohl der gegenwärtige Präsident des Regimes, Hassan Rouhani, nach seiner Wahl im Jahre 2013 als Herold möglicher Reformen lebhaft begrüßt wurde, hatte er sich doch schon früher vor Kollegen damit gebrüstet, er werde, während er als der führende Unterhändler seines Landes in den nuklearen Angelegenheiten fungiere, zur Schaffung einer „ruhigen Umgebung“ beitragen, welche von anderen zur Förderung von Teilen des iranischen Nuklear-programms benutzt werden könne.

In jüngster Zeit hat sowohl Rouhani als auch Zarif ihre Erbschaft eingesetzt, indem sie einige der größten Hardliner des Regimes lobten, darunter den eliminierten Kommandeur das Quds-Truppe des IRGC, Qassem Soleimani. Wenige Monate, bevor er während seiner Rückkehr von Terror-Planungen im Irak durch eine Drohne der USA getötet wurde, erklärte der iranische Außenminister stolz vor staatlichen Medien, er und Soleimani hätten „niemals den Eindruck gehabt, daß es zwischen ihnen Differenzen gebe“ – was zum Teil daran liegt, daß sie sich jede Woche trafen, um die Strategie der Außenpolitik zu erörtern. Doch die westlichen Gesprächspartner Zarifs, die von diesem Geständnis nichts wußten, wären niemals auf den Verdacht gekommen, daß die beiden beständig an denselben Zielen arbeiteten.

 

Javad Zarif, Außenminister des Iran, und Chef-Terrorist Qassem Soleimani – die beiden Seiten derselben Medaille

Doch es war immer so im iranischen Regime, und es wird immer so bleiben, solange es an der Macht ist. Daher muß die internationale Gemeinschaft, wenn sie über ihre Politik gegenüber diesem Regime entscheidet, immer verstehen, daß dessen einzige Ziele die der Hardliner sind und daß keine einzige seiner Institutionen wirklich unabhängig ist von irgendeiner anderen. Alle Bemühungen, einen unzähmbaren Feind zu zähmen, sind Zeitverschwendung und der gerade Weg zur Niederlage.


Dr. Alejo Vidal-Quadras
Alejo Vidal-Quadras, Professor für Atomphysik, war von 1999 bis 2014 Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Er ist der Präsident des Internationalen Komitees Auf der Suche nach Gerech-tigkeit (ISJ).