NWRI- In einem erschreckenden Bericht enthüllte die französische Wochenzeitung Nouvel Obs neue Details über eine Reihe koordinierter Angriffe auf iranische Dissidentenzentren in Frankreich – orchestriert von Teheran über beauftragte kriminelle Netzwerke. Der Bericht verdeutlicht einen beunruhigenden Trend: Das iranische Regime vergibt zunehmend politisch motivierte Operationen an Kleinkriminelle ohne offensichtliche ideologische Bindungen zum Regime.
Sechs Verdächtige wegen Anschlag von 2023 vor Gericht
Sechs Personen wurden kürzlich wegen eines Brandanschlags auf ein iranisches Oppositionszentrum im Jahr 2023 vor das Strafgericht in Pontoise (Val-d’Oise) gestellt. Laut Nouvel Obs wirft der Fall ein Licht darauf, wie Teheran über seine Grenzen hinaus operiert – indem es Repression und Einschüchterung an kriminelle Banden auslagert.
Der Anschlag ereignete sich am frühen Morgen des Mittwoch, 31. Mai 2023, im Industriegebiet Vert Galant in Saint-Ouen-l’Aumône bei Paris. Überwachungsaufnahmen und Polizeiberichte zeigen, dass zwei schwarz gekleidete Männer in einem Mitfahrdienst vorfuhren, den sie mit einem ihrer echten Konten bezahlt hatten – keine besonders diskrete Methode, ein Verbrechen zu begehen.
Nachdem sie abgesetzt worden waren, kletterten die Angreifer über ein Tor, nachdem sie einen Molotowcocktail und eine Pistole durch die Gitterstäbe gereicht hatten. Einer feuerte sechs Kugeln in die Gebäudefassade, während der andere den Angriff mit einem Mobiltelefon filmte. Anschließend versuchten sie, den Molotowcocktail zu zünden, der kaum Feuer fing, und warfen ihn auf das Dach, bevor sie vom Tatort flohen. Eine Person im Gebäude reagierte schnell und nahm die Verfolgung mit seinem Fahrzeug auf.
Drei Angriffe in zwei Wochen
Obwohl der Schaden begrenzt war, löste der Vorfall große Besorgnis aus, da das Ziel das Hauptquartier von „Simay Azadi“ war, einer iranischen oppositionellen Mediengruppe, die dem Nationalen Widerstandsrat Iran (NWRI) angeschlossen ist.
Dies war kein Einzelfall. Am 11. und 13. Juni 2023 wurden dieselben Büros noch zweimal angegriffen. Bei einem der Folgevorfälle näherten sich zwei maskierte Männer mitten in der Nacht mit ausgeschalteten Scheinwerfern dem Gebäude. Als sie aus dem Auto stiegen, riefen die Sicherheitsleute – die inzwischen ständig vor Ort stationiert waren –: „Was macht ihr da?“ Die Angreifer ließen einen Benzinkanister zurück und rasten davon, wobei sie beinahe einen der Wachleute angefahren hätten. Nur ein Teil ihres Nummernschilds wurde registriert.
Alle Verdächtigen gelten als Kleinkriminelle ohne erkennbare politische Motivation. Die Handschrift des iranischen Regimes ist jedoch unverkennbar. Die Vorgehensweise ähnelt den Taktiken der iranischen Geheimdienste, wie sie in den letzten Jahren von mehreren europäischen Regierungen festgestellt wurden.

Ein breites Muster an staatlich finanzierter Gewalt
Der Anschlag erinnert an frühere Pläne staatlicher iranischer Akteure. 2018 planten iranische Agenten einen Bombenanschlag auf die Kundgebung des NWRI „Freier Iran“ in Villepinte bei Paris. Dieser Anschlag führte zur Festnahme und Verurteilung eines in Wien stationierten iranischen Diplomaten und dreier Mitverschwörer mit belgischen Pässen.
Der NWRI hatte für den 1. Juli 2023 eine große Anti-Regime-Kundgebung in Paris angekündigt, parallel zu einer hochrangigen Konferenz, an der auch der ehemalige US-Vizepräsident Mike Pence und die ehemalige britische Premierministerin Liz Truss teilnehmen sollten. Kurz vor diesen geplanten Veranstaltungen kam es zu einem Anstieg der Anschläge.
Diese Vorfälle ereigneten sich, als das iranische Regime seine Niederschlagungen im In- und Ausland verschärfte. Nur Monate zuvor hatte Teheran landesweite Proteste brutal niedergeschlagen und gleichzeitig den Druck auf die Diaspora-Gemeinschaften erhöht. Ende 2022 wurde auch das Londoner Büro des NWRI mit einem Molotowcocktail angegriffen.

Grenzübergreifende Verbindungen und gemeinsame Netzwerke
Europäische Sicherheitsbehörden haben begonnen, die Zusammenhänge zwischen diesen Vorfällen zu untersuchen. Niederländische Geheimdienste kamen im April 2024 zu dem Schluss, dass das iranische Regime „wahrscheinlich“ zwei vereitelte Mordanschläge angeordnet habe – einen auf einen iranischen Dissidenten in den Niederlanden und einen weiteren auf Alejo Vidal-Quadras, ein ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und prominenten Unterstützer der iranischen Opposition.
Vidal-Quadras überlebte im November 2023 einen Schuss von bewaffneten Männern auf Motorrädern in Madrid. Laut Ermittlern war dasselbe kriminelle Netzwerk sowohl an dem Anschlag in Madrid als auch an den Vorfällen in Frankreich beteiligt. Der Hauptverdächtige und sein Bruder – zwei vorbestrafte französisch-tunesische Staatsbürger – wurden festgenommen. Interessanterweise stammen sie aus dem Bezirk Val-de-Marne, derselben Gegend wie mehrere der Täter bei den Anschlägen auf die Büros von Simay Azadi.
Staatlicher Terror durch Söldner
Dieser Fall veranschaulicht eine beunruhigende neue Strategie: Staatsterror durch Stellvertreter. Anstatt auf Agenten mit diplomatischer Deckung oder ideologischer Loyalität zu setzen, setzt der Iran zunehmend auf Auftragskriminelle – und lagert politisch motivierte Gewalt auf eine Weise aus, die eine glaubhafte Abstreitbarkeit ermöglicht.
In seinem jüngsten Bericht warnte Europol vor einer zunehmenden Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren – insbesondere dem Iran – und Netzwerken der organisierten Kriminalität, um Europa zu destabilisieren und Oppositionelle im Exil ins Visier zu nehmen.
Während sich die sechs Verdächtigen auf ihren Prozess im September 2025 vorbereiten, richtet sich das Augenmerk erneut auf Teherans verdeckte Einschüchterungskampagne – eine Kampagne, die weit über die Grenzen des Landes hinausreicht und durch die Schatten der Unterwelt bis ins Herz Europas reicht.
