In einer Sitzung, die am Freitag in Genf, im Hauptquartier der Vereinten Nationen, abgehalten wurde, forderten internationale Menschenrechts-Experten ein Ende jener Straflosigkeit, die die Funktionäre des iranischen Regimes trotz der im Iran verheerenden Menschenrechtslage genießen, besonders jene, die in das Massaker des Sommers 1988 verwickelt waren.
Mehr als 30 000 politische Gefangene – die meisten von ihnen Mitglieder und Freunde des iranischen Oppositionsgruppe „Organisation der Volksmojahedin des Iran (PMOI oder Mujahedin-e Khalq – MEK) – wurden im Sommer 1988 innerhalb weniger Monate an den Galgen geschickt.
Kirsty Brimelow, QC, internationale Menschenrechts-Anwältin, sagte in ihrer Eröffnungsansprache: „Warum sollte jetzt ein Prozeß über das im Jahre 1988 begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfinden? Erstens weil Anwälte die Beweislage geprüft haben und jenseits aller Zweifel wissen, daß ein Verbrechen begangen wurde. Wenn der Iran es in Zweifel zieht, so haben wir ein Verfahren, damit umzugehen.“
Im Juli 1988 erließ Ruhollah Khomeini, der damalige Höchste Führer, eine Fatwa gegen Mitglieder und Freunde der MEK, die zu tausenden in den Gefängnissen des Staates festgehalten wurden. Es fanden keine Prozesse statt, sondern nur zwei Minuten dauernde Verhöre. Es fand keine Ermittlung statt. Es wurde eine Reihe von Fragen gestellt, aufgrund deren entschieden werden sollte, ob die betroffene Person Khomeini loyal gegenüberstand. Wenn die Loyalität nicht ausreichte, wurde die Person erhängt oder dem Todesschwadron ausgeliefert.
Im Jahre 2017 erstattete die verstorbene Asma Jahangir, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über den Iran, vor der Vollversammlung Bericht von den Hinrichtungen. Sie bezeichnete das Massaker von 1988 als eine Serie von außergerichtlichen Tötungen. Der neue Sonderberichterstatter hat die Arbeit seiner Vorgängerin nicht zu Ende gebracht.
Alejo Vial Quadras, Präsident des „Internationalen Komitees auf der Suche nach Gerechtigkeit (ISJ)“ bestätigte: „Was die Angelegenheiten der Menschenrechte angeht, fehlt den Vereinten Nationen ein konsequentes Vorgehen. Was das Massaker von 1988 betrifft, ist von einem zum nächsten Sonderberichterstatter das Problem der Straflosigkeit fallengelassen worden. So wurde es dem Iran möglich, weiterhin Verbrechen zu begehen. Ich fordere die Mitgliedsstaaten auf, das Massaker von 1988 mit dem Besonderen Berichterstatter zu erörtern, um sicherzustellen, daß es nicht wieder fallengelassen wird. Auch das Versäumnis der Ermittlung kann ein Verbrechen sein.“
Der Iran weigert sich, über das Schicksal der Opfer Auskunft zu erteilen und vermehrt auf diese Weise das Leid ihrer Angehörigen.
Herr Behzad Naziri, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des NWRI, sagte während der Versammlung „Zur Lage der Menschenrechte im Iran“, die am 20. September 2019 in Genf stattfand: „Ich bin nicht nur als Mitglied des NWRI hier, sondern auch als Zeuge. Ich bin einem der Gefängnisse Khomeinis entkommen; sonst hätte ich zu den Opfern des Massakers von 1988 gehört. Ich wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Hinrichtung meiner Schwester konnte ich entkommen – ich hatte drei Jahre meiner Haftstrafe verbüßt. Statt meiner wurde mein Vater ins Gefängnis geworfen.“
Er fuhr fort: „Von 2016 bis 2019 wurde große Arbeit geleistet. 30 Jahre lang war dies Verbrechen geheimgehalten worden. Doch das Problem kam ans Licht dank der großen Arbeit von Engagierten, Juristen, Politikern, Abgeordneten und anderen Persönlichkeiten. Es gelang uns, die Vereinten Nationen zur Beschäftigung mit dieser immer geheim gehaltenen Angelegenheit zu zwingen.“
„Eines ist das Verbrechen, das andere die Gesetze. Die Vereinten Nationen haben für die Ermittlung dieser Verbrechen einen Rahmen geschaffen. Kräftige Beweise liegen vor. Auch die Bürgergesellschaft – auch die iranische – hat umfassend über dies Verbrechen berichtet. Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen hat einen Bericht darüber erstellt. Frau Jahangir hatte den dazu erforderlichen Mut“ – So Tahir Boumedra, ehemaliger Direktor des Menschenrechtsbüros der UNAMI und Experte zur Todesstrafe.
Er fuhr fort: „Der jetzige Sonderberichterstatter hat in seinem Bericht diese Angelegenheit ausgelassen; er könnte dazu unter Druck gesetzt worden sein. Warum hat er das Massaker von 1988 ausgelassen? Er ist sowohl den Angehörigen der Opfer als auch den Überlebenden des Massakers eine Antwort schuldig.
Ich möchte die Angehörigen der Opfer daran erinnern, daß sie massiv darüber schreiben und berichten müssen. Er wird an seine Verantwortung erinnert werden und die Angelegenheit in seinem Bericht darstellen müssen. Die Angehörigen müssen auch das gesamte System der Vereinten Nationen informieren.“
„30 000 menschliche Wesen – sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt wurden 120 000 Mitglieder der MEK getötet. Und doch ließ Maurice Copithorne die Sache aus; er dachte, sie sei ja schon von seinen Vorgängern behandelt worden“ – So Alfred-Maurice de Zayas, ehemaliger Experte der Vereinten Nationen zur Beförderung der demokratischen, gerechten internationalen Ordnung.
Er fuhr fort: „Der Hochkommissar für die Menschenrechte und der Menschenrechtsrat müssen dies Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen. Auch der Sonderberichterstatter zu Wahrheit und Gerechtigkeit sowie der Berichterstatter zu Folter und willkürlicher Haft müssen sich die Sache ansehen. Dies ist eine Sache für den Menschenrechtsrat und den UPR.“ (Universal Periodic Review: „Weltweite periodische Rückschau“ – L. W.: der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte.)
Die Kampagne soll weiterer allgemeiner Ermittlung der Menschenrechtsbilanz der Mullahs den Boden bereiten.
Gastredner war der ehemalige italienische Außenminister Giulio Terzi:
„Gestern hat das Europäische Parlament die vom iranischen Regime begangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Herz und Stimme Europas drücken sich in den Menschenrechten aus. Den Menschenrechten müssen die Institutionen der Europäischen Union und der Welt Priorität einräumen. In der Beförderung der Freiheit, Rechtssicherheit und im Schutz der Freiheiten spielt die Europäische Union eine fundamentale Rolle.“
„Der Menschenrechtsrat (der Vereinten Nationen) muß dies erörtern. Wenn wir uns die am Golf gegebene geopolitische Lage ansehen, müssen wir uns ohne Zweifel bei Verhandlungen mit dem Iran viel mehr auf die Menschenrechte konzentrieren. Die Menschenrechte, die grundsätzlichen Freiheiten müssen in dies Zentrum des Spielfelds zurückkehren.“
Während der Konferenz legten drei Frauen – sie alle Opfer der vom Regime in den Gefängnissen begangenen Schandtaten, die darüber hinaus mehrere Angehörige durch außergerichtliche Hinrichtungen verloren hatten – Zeugnis ab.
Sima Mirzaee, Mitglied einer Familie, die durch Hinrichtungen des iranischen Regimes 14 Personen verlor, Massoumeh Joushaghani, ehemals politische Gefangene im Iran, und Azadeh Alemi von der Internationalen Vereinigung für die Frauenrechte legten authentische Zeugnisse von dem Schrecken ab, den sie zu erdulden hatten.
„Wir erleben einen Fortschritt darin, daß für dies Verbrechen Verantwortliche vor Gericht gestellt werden. Seit dem Beginn der Kampagne ‚Gerechtigkeit für die Opfer des Massakers von 1988‘ wurden viele Täter enthüllt; ihre Verbrechen wurden dokumentiert“ – so die schweizerische Abgeordnete Laurence Fellman Rielle.
Auch Amnesty International hat eine Versammlung abgehalten, um dies Verbrechen zu enthüllen. Die Organisation unterstrich: Wenn die Verantwortlichen nicht vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, so werden weitere Verbrechen und Massaker stattfinden. Amnesty sprach von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Organisation verfügt über Aussagen von hunderten von Zeugen.