Stockholm: Strafprozess wegen Völkerrechtsverbrechen im Iran

Der in Stockholm andauernde Strafprozess gegen einen iranischen Regime-Funktionär wegen Massenmord an Gefangenen lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die schweren Völkerrechtsverbrechen der Teheraner Diktatur.

In Stockholm wird der Strafprozess gegen den iranischen Regime-Funktionär Hamid Nouri mit Zeugenbefragungen fortgesetzt. Die schwedische Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, an den Massenhinrichtungen von 1988, denen im Iran tausende politische Gefangene zum Opfer fielen, beteiligt gewesen zu sein. Der Angeklagte war Helfershelfer des sog. „Todeskomitees“, das 1988 im Gohardasht-Gefängnis nahe Teheran über die Massenhinrichtungen entschied. Nach umfangreichen Ermittlungen wird er der vorsätzlichen Ermordung von hunderten politischen Gefangenen beschuldigt. Nouri wurde im November 2019 bei der Einreise aus dem Iran auf dem Stockholmer Flughafen festgenommen. Seither befindet er sich in Untersuchungshaft.

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Vor dem Gerichtsgebäude in Stockholm: Überlebende der Massenhinrichtungen im Iran und Familienangehörige der Opfer fordern Gerechtigkeit. 

Das Gerichtsverfahren in Stockholm wird mit rund 100 Verhandlungstagen einer der umfassendsten schwedischen Strafprozesse werden und soll bis April 2022 dauern. Fast 70 Nebenkläger und Zeugen aus verschiedenen Ländern Europas und Nordamerika sind geladen, darunter auch viele ehemalige Häftlinge des Gohardasht-Gefängnisses.

Die Staatsanwaltschaft begründet die Zuständigkeit der schwedischen Justiz mit dem Weltrechtsprinzip. Es ist das erste Mal, dass die internationale Gemeinschaft einen Funktionär des iranischen Regimes wegen des Massakers von 1988 zur Rechenschaft zieht.

Menschenrechtler setzen sich dafür ein, dass auch andere Länder sich dem schwedischen Beispiel anschließen und weitere Funktionäre des iranischen Regimes wegen ihrer Völkerrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgen.

Am 02.10.2021 berichtete der WESER-KURIER in seiner Online-Ausgabe über den Prozess. Hier Auszüge aus dem Bericht:

Stockholm: Irans Regime auf der Anklagebank

In Stockholm läuft seit Anfang August ein spektakulärer Prozess gegen einen Folterknecht aus dem Iran. Indirekt sitzt jedoch das Regime in Teheran auf der Anklagebank, meint Birgit Svensson.

von Birgit Svensson

Es ist ein ähnlich bahnbrechendes Verfahren wie der Prozess gegen einen Folterknecht des syrischen Geheimdienstes in Koblenz – und spielt sich gerade in Schweden ab. Als das Gericht Anfang August zum ersten Mal gegen den Iraner Hamid Noury in Stockholm verhandelte, keimte eine große Hoffnung auf: Künftig sollten Folterer und Verbrecher gegen die Menschlichkeit nirgendwo mehr vor Strafe sicher sein. Noury war vor zwei Jahren festgenommen worden, als er zu einem Verwandtenbesuch nach Schweden einreisen wollte. Ihm wird vorgeworfen, in der Endphase des Krieges zwischen Iran und Irak in den 1980er-Jahren Kriegsverbrechen begangen zu haben. Unter anderem soll er 1988 eine führende Rolle bei der Ermordung von mehr als 5000 politischen Gefangenen im iranischen Gohardasht-Gefängnis innegehabt haben. Im April des kommenden Jahres soll das Urteil fallen.

„Schweden traut sich was“, heißt es in diplomatischen Kreisen in Stockholm, „die Schweden haben Mut“. Denn die Machthaber in Teheran würden alles tun, um das Verfahren zu beeinflussen; um zu verhindern, dass die Hintergründe der Taten ans Licht kommen. Denn mit Hamid Noury sitzt quasi auch der neue iranische Präsident Ebrahim Raisi in Stockholm auf der Anklagebank – wenn auch in Abwesenheit.

Mit ihm verbinden sich die dunkelsten Momente in der jüngeren Geschichte des islamischen Gottesstaates, als Tausende Oppositionelle im Sommer 1988 auf Befehl des Revolutionsführers Ajatollah Chomeini hingerichtet wurden. Vollstrecker und Scharfrichter der Säuberungen war Ebrahim Raisi. Er entschied über Leben und Tod. Wie viel Blut an seinen Fingern klebt, ist immer noch ungeklärt. Doch verspricht der Prozess einige Aufklärung darüber. Und vor allem lenkt er die öffentliche Aufmerksamkeit auf das verbrecherische Regime und dessen Gräueltaten, die bis in die heutige Zeit hineinreichen. Denn die neue Regierung Irans, die seit August im Amt ist, ist ein Gruselkabinett von Hardlinern. (…)