NWRI- In der vorigen Woche endete die Frist, während derer man sich als Kandidat zur Farce der Wahl des Präsidenten anerkennen lassen konnte. Weithin wird angenommen, daß Ebrahim Raisi mit Sicherheit der aussichtsreichste Kandidat ist. Der langjährige geistliche Richter und gegenwärtige Leiter der iranischen Justiz gilt als Lieblingskandidat des Höchsten Führers, Ali Khamenei; folglich haben einige andere Kandidaten erklärt, sie seien bereit, aus dem Rennen auszuscheiden, um ihn zu unterstützen. Es kann nicht überraschen, daß keine Gestalt des Establishments sich angesichts des Hintergrunds von Raisi besorgt geäußert hat – womit bestätigt wird, daß das Regime in allen seinen Teilen das Erbe seiner Brutalität bekräftigt.
Man weiß, daß Raisi von körperlichen Strafen begeistert ist; so gewann er den Ruf einer der strengsten Hardliner, der nun auch die Exekutive der Regierung leiten könnte. Er amtiert seit etwas mehr als zwei Jahren als Leiter der Justiz. Als solcher hat er seine Reputation dadurch gefördert, daß er mehr als 500 Hinrichtungen beaufsichtigte, aber auch die Folter an tausenden politischen Gefangenen – besonders nach den gegen die Regierung gerichteten Demonstrationen im November 2019.
Einige Monate nach diesem Aufstand veröffentlichte Amnesty Inter-national einen Bericht mit dem Titel „Trampling Humanity“ (‚Die Humanität wird mit Füßen getreten‘). Darin wird der systematische Einsatz von Schlägen, Auspeitschungen, Elektroschocks, chemischen Verbrennungen, Schein-Hinrichtungen usw. en détail beschrieben. Die Menschenrechtsgruppe bestätigte besonders, daß, seitdem Raisi die Justiz leitet, der Gebrauch der Kapitalstrafe – besonders zur Unterdrückung des Dissensus – zugenommen habe. Doch er ist bei weitem nicht der einzige, der für die Steigerung politischer Gewalttätigkeit in den vergangenen Jahren die Verantwortung trägt. Das Betragen verschiedener anderer Gestalten der Führung spiegelt die Hardliner-Mentalität, die, so kann garantiert werden, das Präsidentenamt in den kommenden vier Jahren leiten wird – und dies auch dann, wenn es einem anderen Kandidaten gelingt, Raisi zu überholen.
Wenn es irgendeinem Kandidaten gelingen könnte, so wäre es höchstwahrscheinlich Ali Larijani. Das langjährige Mitglied des Corps der Islamischen Revolutionsgarden gehört zu der bisher größten Gruppe von Kandidaten, die den harten Kurs des Paramilitärs repräsentieren. Ihre gemeinsamen Anstrengungen, die Präsidentschaft für sich zu gewinnen, deutet auf ein umfassenderes Muster hin – die gesicherte politische, soziale und wirtschaft-liche Macht, die von dem Höchsten Führer des Regimes, Ali Khamenei, gestützt wird.
Es war der iranisch-irakische Krieg, der vielen Mitgliedern der Garden dabei half, sich mit dem Ziel ihrer Institution vertraut zu machen: dem Export der islamischen Revolution. Im Falle von Larijani gehörte dazu die Verbreitung der Propaganda und die Bekämpfung des Dissensus, während er das staatliche Organ „Radio der Islamischen Republik des Iran“ leitete. Ab 1994 trug er zehn Jahre lang dazu bei, das Klima der Zensur zu kultivieren, das bis heute im Iran seinen Platz behauptet, und weiterhin auf dem Gebiet der sozialen Netzwerke neue Organe zu erfinden.
Während des Aufstandes im November 2019 und anderer großer Demonstrationen der letzten Zeit kam es zu Berichten, die besagten, daß in großen Teilen des Iran das Internet gänzlich abgeschaltet worden sei; in dem letzten dieser Fälle geschah es im gesamten Lande. Solche Unternehmungen, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren, reflektieren das bleibende Erbe von professionellen Zensoren wie Larijani. Und er ist nicht der einzige von dieser Gruppe, der sich als Kandidat zur Farce der Präsidentenwahl registrieren ließ.
Auch Ezzatollah Zarghami diente – zehn Jahre lang – als Leiter des IRIB (des ‚Radios der Islamischen Republik des Iran‘); ein Teil seiner Amtszeit gehörte der Zeit an, in der Larijani der Sprecher des Parlaments war. Zarghami, der zuvor als Mitarbeiter des Radios des IRGC gearbeitet hatte, war offenbar mit Eifer bemüht, seine paramilitärische Ausbildung bei der Einübung seiner Rolle in den staatlichen Medien zur Geltung zu bringen; ab 2004 kam es im IRIB zu immer mehr Aufnahmen, die erzwungene Geständnisse von Enga-gierten und Dissidenten zeigten. Diese Gewohnheit besteht noch heute. Im vorigen Jahr erfuhr sie durch die Hinrichtung des Ringkampf-Meisters Navid Afkari besondere Aufmerksamkeit; er war gemeinsam mit seinen Brüdern gefoltert worden, nachdem er an regierungskritischen Demonstrationen teilgenommen hatte; darnach wurde er wegen eines Mordes, den er gar nicht begangen hatte, hin-gerichtet.
Der Tod Afkaris machte erneut auf die Art aufmerksam, wie die Justiz unter der Leitung Raisis die Menschenrechte offen ver-achtet. Außerdem zeigte er beispielhaft die Kontinuität zwischen der Manie, mit der besagte Institution die Dissidenten verfolgt, und der Mentalität, die seit langem unter den Beamten des IRGC, des staatlichen Rundfunks sowie anderen führenden Institutionen und Persönlichkeiten des Regimes vorherrscht.
Diese Repression stellte sich öffentlich dar, noch bevor die Berichte von systematischer Folter auftauchten. Während die Justiz in Maßnahmen des Drucks auf Engagierte die Führung übernahm, war es das IRGC, das während des Aufstands von 2019 die Szene be-herrschte: Binnen wenigen Tagen hat es annähernd 1500 friedliche Demonstranten und unschuldige Beobachter erschossen. Obwohl iranische Funktionäre den Vorfall herunterzuspielen versuchten, hat Amnesty International bestätigt: Als die Schützen des IRGC in Dutzenden von Städten das Feuer auf die Massen eröffnete, da schossen sie, um zu töten.
Jetzt hat das Regime die Kandidatur einer beispiellosen Menge von Leuten akzeptiert, deren Stellung innerhalb des IRGC unauslösch-lich bedeutet, daß sie an es und Verbrechen gegen die Menschlich-keit gebunden sind. Damit haben die iranischen Behörden zwei Dinge zum Ausdruck gebracht: Sie empfinden weder Scham noch Reue über die Angriffe auf ihr eigenes Volk, und sie haben kaum Angst davor, daß die internationale Gemeinschaft diese Vorfälle mit Konsequenzen beantworten wird.
Und diese Botschaft betrübt um so mehr, wenn man bedenkt, daß die Unternehmungen, die demokratische Opposition niederzuschlagen, sich tatsächlich schon über die Grenzen des Iran hinaus verbreitet haben. Im Juni 2018 – etwa sechs Monate nach den Demonstrationen im ganzen Lande – wurden vier iranische Agenten, darunter ein ranghoher Diplomat bei dem Versuch gefaßt, eine Versammlung „Freier Iran“, die vom Nationalen Widerstandsrat des Iran organisiert worden war und vor den Toren von Paris stattfinden sollte, mit Sprengsätzen anzugreifen.
Dieser Terroranschlag war tatsächlich aber nur einer von mehreren, die in jenem Jahr aufgedeckt wurden, und die endliche Verfolgung des Terror-Diplomaten Assadollah Assadi ergab, daß er ein Netzwerk von Agenten betrieb, das einen großen Teil Europas umfaßte.
Ob der nächste Präsident des Iran nun Raisi oder Larijani oder noch anders heißt, es steht kaum in Frage, daß er die Operationen dieses Terror-Netzwerks fortsetzen wird – gemeinsam mit der Unterdrückung einheimischer Befürworter einer demokratischen Alternative. Die westlichen Politiker sollten sich dessen bewußt sein und eine Wiederholung des Fehlers von 2013 vermeiden, als viele annahmen, nach der Wahl des geringsten Übels würde sich die Lage im Iran verbessern. Die Annahme war damals naiv, und sie wäre heute noch naiver, da der Konflikt zwischen dem iranischen Regime und seinem Volk sich dramatisch verschärft hat.
Im iranischen Establishment gibt es überhaupt keine „Reformer“. Wenn die westlichen Politiker während dieses Rennens irgendjemanden unterstützen wollen, dann sollten es jene engagierten Iraner sein, die ihre Landsleute zum Boycott der Wahl aufrufen und klar machen, daß ihr Votum dem „Wandel des Regimes“ gilt.
