Iran: Neuer Skandal im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL

Veröffentlichung von Falschaussagen ohne Überprüfung

Eine Erklärung des Deutschen Solidaritätskomitees für einen freien Iran (DSFI)*

DER SPIEGEL veröffentlichte am 16.02.2019 einen Artikel mit der Überschrift „Gefangene der Rebellion“, in dem es um die demokratische iranische Opposition geht. (Foto: Otto Bernhardt, DSFI-Vorsitzender)

Es war einmal selbstverständlich, dass verantwortlicher Journalismus an sich den Anspruch stellte, „als Vorhut der Gerechtigkeit und Fundament der Demokratie die Öffentlichkeit aufzuklären“ [i]. Doch für das iranische Volk und seine Widerstandsbewegung gibt es keine Gerechtigkeit. Dabei sind sie die Opfer eines teuflischen und tyrannischen Regimes.

Dieser Artikel ist sehr enttäuschend, denn DER SPIEGEL hat gerade mit dem Skandal um den Journalisten Claas Relotius zu kämpfen, der im Dezember 2018 aufflog. Anscheinend hat die Zeitung nichts aus ihren Fehlern gelernt.

In dem Artikel werden Behauptungen aufgestellt, die im besten Fall sehr fragwürdig sind. Die Standards und Methoden des Sammelns und der Überprüfung von Informationen, die hier offenbar werden, bieten Anlass zu ernster Besorgnis.

Nach dem Skandal um Relotius hat sich DER SPIEGEL nicht nur für die Veröffentlichung zahlreicher gefälschter Geschichten entschuldigt, sondern auch behauptet, man habe ein System, mit dem man den Inhalt seiner Artikel überprüfe. Man hat sogar zugegeben, dass es in diesem System Lücken gibt.

Wir fordern die Redaktion des Spiegels auf, folgende Fragen zu beantworten:

Behauptung 1:

In dem Artikel wird folgendes behauptet: Von den Mitgliedern der MEK in Albanien “üben dreimal pro Woche viele angeblich, Kehlen mit Messern aufzuschneiden, Hände zu brechen, Augen mit den Fingern auszustechen, Mundwinkel einzureißen. So zumindest erzählen es Aussteiger der Gruppe.”

  1. Können Sie darlegen, wie Sie diese absurden und eindeutig falschen Behauptungen überprüft haben?
  2. Da es sich um eine äußerst schwere Anschuldigung handelt: haben Sie versucht, dafür von den albanischen Behörden eine Bestätigung zu bekommen?
  3. Haben Sie ein Mitglied der MEK oder des NWRI über die Vorwürfe befragt?

Behauptung 2:

In dem Artikel wird ein recht bekannter Agent des iranischen Regimes zitiert. Er hat eine Verwandte, die der MEK angehört. Mostafa Mohammadi behauptet, seine Tochter (38) werde seit Jahren gegen ihren Willen mit Gewalt bei der MEK festgehalten.

  1. Haben Sie je die MEK oder den NWRI zu dieser Behauptung befragt?
  2. Wenn ja, was war die Antwort und im anderen Fall, warum haben Sie die Organisationen nicht gebeten, diese Behauptung zu bestätigen?
  3. Wussten Sie, dass Mohammadi in Albanien Strafantrag gestellt hat und dass der albanische Staatsanwalt diese Anzeige abwies und das Verfahren einstellte, nachdem er Mohammadis Tochter persönlich befragt hatte?
  4. Wussten Sie, dass er in Kanada eine ähnliche Gerichtsentscheidung zu erwirken versucht hatte, ohne Erfolg mangels Beweisen?
  5. Wussten Sie, dass er auch im Irak eine Klage eingereicht hatte und keine entsprechende gerichtliche Anweisung folgte, weil seine Behauptungen komplett absurd waren?
  6. Haben Sie sich über Mostafa Mohammadis sonstiges Leben informiert?
  7. Wussten Sie, dass er mehrfach in den Iran gereist ist und dort im Ministerium für Geheimdienste und Sicherheit zu Gast war?
  8. Wussten Sie, dass Beweismaterial, u. a. in Form von Filmaufnahmen, existiert, das zeigt, wie er droht Mitglieder der MEK zu ermorden?
  9. Wussten Sie, dass er Agent des Ministeriums für Geheimdienste und Sicherheit sein soll?

Behauptung 3:

Es wird unter Berufung auf Aussteiger behauptet, die meisten der rund 2000 Bewohner dürften keine Mobiltelefone, Uhren oder Kalender haben. „Vertreter der Organisation, die das Camp betreiben“, weisen diese Behauptung zurück.

  1. Wie haben Sie diese absurde Behauptung überprüft?
  2. Ist es wahr, dass Sie niemanden kontaktiert haben, der „das Camp betreibt“?
  3. Ist es wahr, dass DER SPIEGEL eine Einladung zum Besuch der Menschen in Albanien bekam, die Einladung aber nicht wahrgenommen hat?

Behauptung Nummer 4:

Es wird behauptet, dass in Albanien die Bewohner gefoltert, falsche Geständnisse von ihnen erpresst und ihnen sexuelle Handlungen verboten würden. Auch das Kopftuch soll bei Frauen Pflicht sein.

  1. Wie haben Sie diese erfundenen Behauptungen überprüft?
  2. Können Sie sagen, wer diese Behauptungen aufgestellt und wer sie überprüft hat?
  3. Haben Sie je die Menschen, die diese Behauptungen aufgestellt haben, gefragt, warum sie über diese Dinge nicht sprachen, als sie in den Jahren 2003/2004 von mehreren US-Behörden interviewt wurden?
  4. Haben Sie sie gefragt, warum sie über diese Dinge nicht sprachen, als sie von 2011 bis 2013 vom UNHCR vertraulich interviewt wurden?

Behauptung 5:

Es wird behauptet, Shekari, Aussteiger aus der MEK, habe gesagt, er sei 27 Jahre lang Mitglied der MEK gewesen. Er behauptet aus dem Iran über die irakische Grenze geflohen zu sein. Weiter gibt er an, die MEK habe ihm alle Dokumente abgenommen und sie ihm nie zurückgegeben.

  1. Können Sie erklären, wenn er illegal aus dem Iran floh, welche Dokumente die MEK hätte ihm abnehmen können?
  2. Wie können Sie diesen Widerspruch in seinen Behauptungen erklären?
  3. Er sagt, er sei gefoltert worden, er blieb danach aber weitere 23 Jahre in der Organisation. Finden Sie diese Behauptung nicht auch absurd?
  4. Warum ist er nicht früher gegangen?
  5. Haben Sie überprüft, ob das, was er als Spuren der vor 23 Jahren erlittenen Folter ausgibt, tatsächlich solche Folter beweist? Haben Sie ihn um einen medizinischen Befund gebeten, der die Behauptung bestätigen würde?

DSFI-Großveranstaltung für einen freien Iran in ICC-Berlin (März 2011) 

Einige generelle Fragen

  1. Ist es wahr, dass DER SPIEGEL eingeladen wurde, das Camp der MEK in Albanien im November 2018 zu besuchen?
  2. Können Sie erklären, warum Sie die Einladung nach Albanien ablehnten und damit auf die Prüfung der Vorwürfe verzichteten?
  3. Könnten Sie erklären, wie es dazu kam, dass ein Teil dieses Artikels am 24. November auf einer Webseite veröffentlicht wurde, die in Verbindung mit dem iranischen Geheimdienst MOIS steht, mit der Angabe, der Artikel werde im Spiegel veröffentlicht? Wie konnte das MOIS über das Interview Ihrer Journalisten mit Shekari Bescheid wissen? Wie hat die Webseite Zugriff zu diesem Interview erhalten?
  4. Ist es wahr, dass Ihre Reporterin für mehrere Monate im Iran lebte? Welche Aufgabe hatte sie dort? Hat sie dort studiert? War es eine touristische Reise?
  5. Haben Sie sichergestellt, dass Ihre Reporterin oder Ihre Redakteure keinen Interessenkonflikt in dieser Sache zu bewältigen hätten?
  6. Ist es wahr, dass man ihr im Iran so sehr vertraute, dass sie bei einem militärischen Manöver für Frauen, die den berüchtigten Bassiji-Kräften und den Islamischen Revolutionsgarden angehörten, zugegen war?

Eigene Erfahrung und Zusammenfassung

Es gibt noch mehr haltlose Behauptungen in diesem Artikel und es gibt daher auch noch viel mehr Fragen. Doch viel wichtiger ist, dass DER SPIEGEL in diesem Artikel jegliche Professionalität, Ethik oder Fairness vermissen lässt.

Wir kennen die MEK und den NWRI seit vielen Jahren. Wir haben die Flüchtlinge in Albanien zweimal besucht – in den Jahren 2016 und 2018; diese Anschuldigungen sind durch und durch falsch. Wir haben mit vielen von ihnen persönlich gesprochen. Es sind alles Freiwillige; sie alle sind von ihrer Sache überzeugt. Einige von ihnen sprachen mit uns auf Englisch oder Deutsch unter vier Augen. Sie alle haben ein großes Ziel: Freiheit für das iranische Volk! Und sie bringen dafür auch persönliche Opfer. Außerdem haben Frau Süssmuth und ich mit vielen Gruppen der MEK in Frankreich und Deutschland gesprochen und an ihren jährlichen Treffen in Paris teilgenommen. Wir respektieren ihr hohes Ethos und ihre tiefe Überzeugung. Vor diesem Hintergrund sind die Unterstellungen, die Ihr Artikel gegen die MEK vorbringt, vollkommen aus der Luft gegriffen und empörend.

Der SPIEGEL-Artikel hat das Ziel, die demokratische Opposition in Misskredit zu bringen und würde nur den Interessen des iranischen Regimes dienen.

Otto Bernhardt**

DSFI-Vorsitzender

* Im Deutschen Solidaritätskomitee für einen freien Iran (DSFI), gegründet in Oktober 2005, hat sich eine größere Zahl von Bundestagsabgeordneten fraktionsübergreifend sowie Persönlichkeiten aus Kultur und Gesellschaft zusammengeschlossen. Beiratsvorsitzende ist Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D..

** Otto Bernhardt war von 1998 bis 2009 Mitglied des deutschen Bundestages und zeitweise finanzpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2002 ist er Mitglied des Vorstandes der Konrad-Adenauer-Stiftung.

[i] SPJ Code of Ethics, 2014, https://www.spj.org/ethicscode.asp (accessed on 16/02/2019)