Noch mehr Aufstände im Iran, während die Wirtschaft abrutscht

NWRI- Der Iran nähert sich bald dem ersten Jahrestag des Beginns der derzeit letzten Runde der Volksaufstände, die im ganzen Land entbrannt sind, mehrere Monate  lang andauerten und die soziopolitische Landschaft für immer verändert haben. Weil Volk und Staat sich auf entgegengesetzte Wege aufmachen, haben die Umstände und die zugrundeliegenden Dynamiken die Gesellschaft mit mehr Gründen für die Revolte befeuert.

Zusätzlich zu dem Erleiden von Beschwernissen wie der starken Repression gegen politisch Andersdenkende, der Erosion der bürgerlichen Freiheiten und der durchgängigen Zensur hat das Regime für die Mehrheit der Iraner das Leben unerträglich gemacht, die in den letzen Jahren unter die Armutslinie geschleudert wurden. Sie strampeln sich ab, um für Wohnung, Energie, Mobilität und sogar den simplen Lebensunterhalt aufkommen zu können.

Eine große  Ursache an der Wurzel der vielen täglichen Proteste im Iran liegt in der Krise der steigenden Preise für wesentliche Güter, die die Kosten in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft emportreiben. Die herrschenden Kleriker, die bemerkenswert begabt sind dafür, sich um jeden Preis an der Macht zu halten, haben sich auf kreative Wege verlegt, Einkommen aus den Taschen der sich abmühenden iranischen Bevölkerung zu ziehen.

Bittere Eingeständnisse

Die kritische Situation hat sogar die engmaschig kontrollierten staatlichen Medien gezwungen, bestimmte Realitäten in der Gesellschaft einzuräumen.

Die staatliche Dideban-e-Iran [„Ansichten des Iran“] legt offen wie die Raisi Administration die Preise erhöht, um ihr Budget Defizit auszugleichen; sie  schreibt am 5. August: „Die dreizehnte Regierung ist immer noch weit davon entfernt, ihre Versprechen zu erfüllen; Versprechen, bei denen die Menschen immer am Ende zu Opfern werden… Statt an wirksame Lösungen zu denken, haben sich die Amtsträger darauf verlegt, das Volk auszupressen, den Menschen tief in die Taschen zu greifen und zu versuchen, Engpässe auszugleichen“.

„In den letzten Tagen hat Brot, das eines der wichtigsten Güter auf den Tischen der Menschen ist, einen neuen Preisauftrieb erlebt wegen einer angeblichen Zunahme der Kosten für die Produktion und der Unmöglichkeit, es zum laufenden Preis anzubieten. Es war versprochen worden, dass im neuen Jahr nichts teurer werden würde. Dennoch ist jetzt Brot, grundlegend zum Lebensunterhalt in vielen Provinzen, teurer geworden.

Es ist schon seit einiger Zeit üblich geworden, immer nur ein halbes Laib Brot zu kaufen. Müssen wir erwarten, dass mit diesen Preissprüngen Brot nur ein weiteres hochpreisiges und knappes Gut wird und die Menschen dazu bringt, es auf Raten und auf Pump zu kaufen? Das alles zu einer Zeit, wo Preisanstiege nicht nur beim Brot vorkommen. Molkereiprodukte verschwinden von den Tischen der Arbeiter, Reis steht nicht mehr auf den Einkaufszetteln, Arbeiter können sich keine Sommerfrüchte leisten und sogar Zucker ist teurer geworden“

 

Am 13. Juli   hat die Website Entekhab [„Die Auswahl“] einen Bericht darüber veröffentlicht, wie sehr die Preise für einfache Güter den Menschen das Leben schwer machen, und damit das Scheitern der Regierung Ebrahim Raisis und seiner Politik zugegeben.

Auf der Website wird festgestellt: „Als Ergebnis der Umsetzung einer ‚Politik der chirurgischen Operation‘ hat der Lebensstandard der Menschen im Land den Rand der Krise erreicht. Eine Regierung, die an die Macht gekommen ist mit verlockenden wirtschaftlichen Versprechungen, ist jetzt unfähig, auch nur die grundlegendsten lebensnotwendigen Bedarfsgüter herbeizuschaffen“.

„Heutzutage fragt schon niemand mehr nach einem Preis im Laden. Der Ladenbesitzer verfügt den Preis und der Kunde schaut zu, was er noch hat, und durchsucht seine Brieftasche, um zu entscheiden, ob er den betreffenden Einkauf noch machen kann oder nicht“, ergänzt Entekhab.

Da die Regierung Raisis sich mit einer unruhigen Gesellschaft herumschlägt, versucht sie, die Öffentlichkeit zu beschwichtigen mit falschen Erfolgsmeldungen, und achtet nicht auf die drängende Lage, oft legt sie auch irreführende Statistiken vor.

Am 6. August hat die staatliche   Nachrichtenagentur ILNA ein Interview mit einem Arbeiteraktivisten, der dem Staat verbunden ist, veröffentlicht, der ganz offen den Präsidenten des Regimes beschuldigt, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.

Faramarz Tofiqi erklärte: „Ich erinnere mich daran, wie bei den Debatten zur Wahl der Präsident die Aussage machte: ‚Das Volk hat das Recht darauf, informiert zu werden‘  Jetzt sagen wir ihnen, dass das Zentrum für Statistik es vom März bis jetzt unterlassen hat, genaue Zahlen über die Nahrungsmittelpreise zu liefern. Warum werden die einflussreichen Komponenten im Korb der Inflation nicht vom Zentrum für Statistik des Iran offengelegt?“

Er warnt davor, dass solche Lügen zu fehlendem Vertrauen auf statistische Daten führen werde und fügt hinzu: „Das Zentrum für Statistik behauptet, dass die Inflation bei den Nahrungsmittelpreisen abgenommen habe. Könnten sie nicht bitte genau spezifizieren, für welche Nahrungsmittel? Ist es Hühnerfleisch mit Preisen von 120 000 Toman je Kilogramm oder Zucker für 48 000 bis 60 000 Toman oder vielleicht Fleisch für 500 000 Toman?“

Diskriminierung: eine Formel für die soziale Explosion

Mitten in den Mühen für die Mehrheit der Iraner, um ihren grundlegenden Bedarf zu decken, bringt das Zirkulieren von Nachrichten und Inhalten in den sozialen Medien, die den opulenten Lebensstil der herrschenden Eliten  und ihrer Kinder in den wohlhabenden Bezirken von Teheran, ihre extravaganten Villen an der Küste im Norden des Iran und  ihre Residenzen in westlichen Ländern zur Schau stellen, das Blut im Volk zum Kochen.

Die staatliche Website  Tabnak warnte in einem Artikel, der am 19. Juli veröffentlicht wurde: „Wenn unser Volk fühlt, dass dem Land der Wohlstand fehlt und jeder in Armut leben muss, dann ist es bereit, eine gleichmäßige Verteilung zu akzeptieren. Was es aber nicht bereit ist zu dulden, das ist Diskriminierung. Die Menschen können keine Situation einfach hinnehmen, wo in einem Land mit so viel Reichtum und Ressourcen ein paar Leute Vermögen ansammeln, während Millionen Familien Zeugen einer Aufteilung der Armut untereinander werden. Das entspricht nicht den Rechten von Menschen, die in einem an sich wohlhabenden Land leben“.

 

Die staatlichen Medien und ihre Besitzer mit guten Beziehungen innerhalb des herrschenden Establishments und mit allen ihren Quellen zeigen keinerlei echte Besorgnis um das Wohlergehen des Volkes. Sie wissen sehr gut, dass eine bedeutende und gefährliche Bedrohung, mit der das Regime konfrontiert ist, sich in den Krisen vom  Dezember 2017 und November 2019 wiederspiegelt, wo landesweite Aufstände sich anfänglich an dem Steigen der Preise für wesentliche Güter entzündeten.

Im Hinblick auf kürzliche Erklärungen mächtiger Kleriker, die öffentlich vorgeschlagen haben, weniger Mahlzeiten am Tag zu essen, und anführten, dass Fleisch ohnehin nicht gesund sei, hat Masih Mohadscheri, selbst Kleriker und Chefherausgeber der Zeitung Jomhuri-e Eslami [„Islamische Revolution“], am 25. Juli geschrieben: „Es entspricht nicht dem Wesen einer islamischen Regierungsführung, dass eine mächtige Elite verschwenderisch die Filetstücke untereinander teilt und dem Volk predigt, es möge Geduld haben, weniger Mahlzeiten am Tag konsumieren und zu einer Ära der ungesunden Ernährung zurückkehren.

Es ist nicht recht, dass ein Teil der Bevölkerung sich nicht in ausreichendem Maß Fleisch, Huhn, Molkereiprodukte und Obst leisten kann, während eine kleine Zahl an Personen wegen ihrer Nähe zu den Zentren der Macht in den Genuss von verschwenderische Belohnungen, astronomischen Gehältern und Sonderprivilegien kommen“.

„Geht nicht davon aus, dass die Geduld des Volkes unbegrenzt ist. Hütet euch vor dem Tag, wo eine Armee von Hungrigen sich gegen euch erhebt. Wenn ihr schon euren religiösen und gesetzlichen Pflichten nicht nachkommt, den Armen zu dienen und für Gerechtigkeit zu sorgen, dann denkt wenigstens an euer Überleben und die Staatsführung“, gab Mohadscheri warnend zu bedenken.