Der Prozeß gegen Hamid Noury: Ein ehemaliger iranischer Häftling bezeugt: „Von uns 157 Häftlingen, die in das Evin-Gefängnis verlegt wurden, haben nur sieben überlebt.“
Am vergangenen Dienstag fand im Prozeß gegen Hamid Noury die 48. Sitzung statt; es handelt sich um einen iranischen Gefängnis-Beamten, der im Jahre 2019 wegen der von ihm in den 80er Jahren an politischen Gefangenen begangenen Verbrechen, hauptsächlich aber wegen seiner Beteiligung an dem Massaker von 1988, verhaftet worden war.
Am vergangenen Dienstag sagte Mohammad Khodabandeh-Loui als Zeuge gegen Noury über dessen Beteiligung an der im Evin- und im Gohardasht-Gefängnis an politischen Gefangenen verübten Folter aus. Khodabandeh hat sieben Jahre in Haft verbracht; er bezeugt das 1988 an mehr als 30 000 politischen Gefangenen verübte Massaker, von denen die meisten der Organisation der Volksmojahedin (MEK) angehörten.
Der Vater von Khodabandeh-Loui, Ali Khodabandeh-Loui, war Zahnarzt; er wurde 1980 wegen Unterstützung der MEK hingerichtet. Mohammads Bruder Mahmoud Khodabandeh wurde zusammen mit seinem Vetter Pour-Eghbali im Jahre 1989 verhaftet; beide wurden später hingerichtet.
Während des Prozesses gegen Noury bezeugte Khodabandeh-Loui, daß er während des Massakers des Jahres 1988 gemeinsam mit weiteren 157 Häftlingen in das Evin-Gefängnis verlegt worden sei. Er sagte: „Nur sieben von uns haben überlebt.“
1987 traten im Gohardasht-Gefängnis Häftlinge aus Protest gegen die unmenschliche Behandlung, der die Gefängnisbehörden sie unterwarfen, in einen Hungerstreik ein. Man brachte sie alle in einen Raum, der „Gaskammer“ hieß. Die Gaskammer des Gohardasht-Gefängnisses war ein kleiner Raum; dort saßen die Häftlinge dicht gedrängt zusammen und konnten kaum atmen.
Khodabandeh sagte: „Während eines schweren Übergriffs gegen die Häftlinge im Jahre 1987 in der Gaskammer sah ich Hamid Noury.“ Khodabandeh bezeugte, Noury und sein Vorgesetzter Nasserian hätten auf die Häftlinge eingedroschen und einen nach dem anderen aus der Zelle hinausgebracht.
„Ich stand als einziger am hinteren Ende des Raumes. Nasserian, [Mohammad Mogheyseh], Davoud Lashgari und Abbasi [Noury] kamen in die Zelle. Nasserian schrie: ‚Heute wirst du durch diese Tür als Leiche hinausgetragen werden.‘ Dann begannen sie, mich zu schlagen. Meine Augenbinde war geöffnet; ich sah ihre Gesichter. Abbas [Noury] schlug heftig auf das meine; auf dessen rechter Seite empfand ich schweren Schmerz.“
Die Folge war, daß Khodabandeh ein Auge verlor.
Das Ausmaß des 1988 im Iran begangenen Massakers
Nach Khodabandeh begann das Massaker am 27. Juli 1988 im Evin-Gefängnis. Ein Häftling aus der Nachbarzelle teilte Mohammad und weiteren Insassen in Morsezeichen mit, die Wärter hätten einige Häftlinge zur Hinrichtung hinausgebracht.
„Die letzten, die sie zur Hinrichtung hinausbrachten, waren meine Zellgenossen. Es geschah am 24. September 1988“. Khodabandeh-Loui bezeugte, er sei während des Massakers des Jahres 1988 gemeinsam mit 157 weiteren Häftlingen ins Evin-Gefängnis gebracht worden. Er sagte: „Nur sieben von uns haben überlebt.“
Die Mehrheit der Todesopfer des Jahres 1988 waren Freunde der MEK. Die sogenannten Todeskommissionen hatten den Auftrag, Freunde der MEK zu identifizieren und an den Galgen zu schicken.
Hamid Noury bestätigte während seiner Anhörung in der vorigen Woche, gegen ihn würde im Iran schon bei seiner Ankunft vorgegangen werden, wenn er den Namen der MEK vor Gericht auch nur erwähnen würde. Er betonte, der Name „MEK“ bedeute für das Regime eine rote Linie; jeder, der ihn erwähne, werde verhaftet.
Hamid Noury hatte früher ausgesagt, Khodabandeh und einige weitere Kläger seien zur Teilnahme an diesem Prozeß durch Iraj Mesdaghi provoziert worden. Mesdaghi ist ein Geheimdienst-Beamter des Iran. Er wurde 1981 im Gefängnis rekrutiert; er posierte jahrelang in der iranischen Diaspora als Unterstützer der MEK. Auf Befehl des Regimes hatte er – nach einer düsteren Bilanz aus seiner Haftzeit – versucht, die vom iranischen Widerstand gebildete Bewegung auf der Suche nach Gerechtigkeit der Opfer von 1988 anzuschwärzen.
Dazu sagte Khodabandeh-Loui: „Indem er vorgab, er sei der einzige, der nach Gerechtigkeit für die Opfer strebe, versuchte er [Mesdaghi], seine bösartig gegen die MEK und ihre Mitglieder, die [1988] exekutiert worden waren, gerichteten Ziele zu verfolgen.“
„Ich weise Nourys Behauptung entschieden zurück,“ sagte Khodabandeh-Loui. „Ich war es, der Mesdaghis Video (auf dem Personen wie Khodabandeh-Loui beleidigt wurden) der Polizei übergab.“
Er sagte: „Dieser Mann beleidigte meine Freunde in Albanien und mich, indem er behauptete, die MEK habe uns daran gehindert, gegen Noury auszusagen.“ Und er fuhr fort, mit all diesem Getue „verfolgte Mesdaghi die Absicht, unsere Beteiligung an diesem Prozeß zu verhindern“.
Er sagte: „Ich verlor im Alter von 23 Jahren ein Auge – durch die Schläge von Noury und seinem Chef. Jetzt wende ich mich an dies Gericht. Mußte ich zur Teilnahme an diesem Verfahren bestochen oder gezwungen werden? Was meine persönliche Motivation betrifft, so ist es mein Auge, das mir sagt, ich solle an diesem Verfahren teilnehmen.“ Er fügte hinzu, sein Vater und sein Bruder seien von dem Regime hingerichtet worden. Er sagte: „Wie also könnte ich noch schweigen?“
Außerdem beleuchtete er die Beziehung Mesdaghis zum Regime, wie sie in früheren Jahren bestanden hatte.
„Im Jahre 2011 war ich in Bagdad; dort war die iranische Botschaft mit der aktiven Jagd auf Mitglieder der MEK bzw. dem Versuch ihrer Rekrutierung beschäftigt“ – so Khodabandeh-Loui. Und er fuhr fort: „Damals gab Mesdaghi mir den Rat, zur iranischen Botschaft zu gehen, ihr zu sagen, daß ich bereue, und um einen Paß zu bitten.“
Ebenfalls betonte Khodabandeh-Loui, es hätten mehr als 1600 Iraner, die auf eine politisch motivierte Haft zurückblickten, einen Brief unterzeichnet, in dem die Aktion Mesdaghis und seine Rolle als Agent des Geheimdienstministeriums verurteilt worden seien.