Interview – „Wahl“ von 2017 im Iran

NWRI – In einem Interview mit ncr-iran.org hat der Vorsitzende des Ausschusses für Außenpolitik im Nationalen Widerstandsrat Iran Mohammad Mohaddessin auf eine Reihe von Fragen in Bezug auf die anstehenden „Präsidentschaftswahlen“ geantwortet. Hier der erste Teil des Interviews.

Was steht zur Wahl für das iranische Volk und was erwartet es?
Das ist eine sehr interessante Frage. Wenn Sie durch die Straßen von Teheran gehen oder soziale Medien im Iran aufrufen, so werden sie die Antwort finden. Sie werden viele Plakate oder Postings finden, auf denen steht: Nein zum Henker Raisi; Nein zum Demagogen Rohani, meine Stimme für den Sturz des Regimes.

Das ist die Wahl, vor der sich die Leute im Iran sehen. Sie sprechen von der Wahl zwischen „schlechter“ und „noch schlechter“. Die Menschen im Iran erwarten nichts von der Wahl. Sie haben schon so viele von diesen Scheinwahlen gehabt. Sie wissen innerlich, dass Wahlen im Iran nichts bedeuten. Es geht nur um eine Show, um die absolute Herrschaft des Velayat-e Faqih zu rechtfertigen. Es wird Zeit, dass der Westen sich von dieser fehlgeleiteten Wahrnehmung freimacht, die von der Teheran Lobby geschürt wird, dass die Menschen im Iran ernsthafte Unterschiede zwischen den Kandidaten in Betracht ziehen. Der einzige Unterschied ist der, dass einer ein Henker ist, der das lauthals bestätigt, und dass der andere gemäßigt redet, aber genauso handelt.

Rohani hat vor kurzem gesagt: „Die Menschen im Iran unterstützen nicht die, die in den letzten 38 Jahren nur Hinrichtung und Gefängnis kannten“. Wen hat er damit gemeint? Ebrahim Raisi? Hat es auf diese Äußerungen irgendeine Reaktion gegeben? Wie interpretieren Sie diese Äußerungen?
Die Äußerung von Rohani ist ein klares Zugeständnis, dass sich das Kleriker-Regime in den letzten 38 Jahren vollkommen auf Hinrichtung und Gefängnis verlassen hat, um an der Macht zu bleiben und alle Politiker des Regimes einschließlich von Rohani, der einer der Entscheidungsträger in der ganzen Periode gewesen ist, sind direkt verantwortlich für die begangenen Verbrechen. Natürlich hat Rohani Raisi gemeint, der von Khomeini zum Mitglied der „Todeskommission“ bei dem Massaker an 30000 politischen Gefangenen von 1988 ernannt worden ist.
Aber aus Versehen bestätigt er, dass 38 Jahre der Herrschaft der  Kleriker dem iranischen Volk nichts als Hinrichtung und Gefängnis gebracht haben. Deshalb hat die andere Fraktion so entschieden auf diese Äußerungen reagiert und gesagt, seine Äußerungen unterminierten das ganze System, und sie hat ihn daran erinnert, dass er einer der Entscheidungsträger des Regimes war. Sie haben zum Beispiel auf Äußerungen Rohanis in der Vergangenheit hingewiesen, als er forderte, dass „Verschwörer“ vor den Freitagsprediger gebracht und öffentlich gehängt werden müssten, damit es wirkungsvoller ist.
In seinen Äußerungen hat Rohani auch enthüllt, dass Mitglieder der anderen Fraktion in einer privaten Diskussion vorgeschlagen haben, auf den Bürgersteigen Mauern zur Trennung der Geschlechter zu errichten. Als Antwort darauf haben Mitglieder der anderen Fraktion enthüllt, dass einige enge Verbündete von Rohani, die jetzt entweder Minister in seinem Kabinett oder führend in der Wahlkampagne für ihn sind, für die Geschlechtertrennung eingetreten sind, dass aber Khamenei sie gestoppt hat!! Sie haben auch Teile von Rohanis Memoiren wieder aufgegriffen, in denen er zugibt, dass er der führende Politiker war, der den obligatorischen Hijab für Frauen eingeführt hat. Als Teil der internen Fehde macht jede Fraktion neue Enthüllungen über die andere Fraktion und ihre Rolle bei der Unterdrückung, den Hinrichtungen, den Unterschlagungen, der Korruption und so weiter. Dieser Kampf um die Macht, der im Wesentlichen aus dem Misserfolg des Regimes dabei herrührt, die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen  zu berücksichtigen, hat das ganze Regime erschüttert und es verletzlicher und schwächer gemacht. Auf der anderen Seite ist das eine Rechtfertigung für den Widerstand. Jahrelang hat das Regime jedes Mittel zur Unterdrückung  des iranischen Volkes benutzt und auch dazu, der nächsten Generation das Wissen über die vielen Verbrechen in der Vergangenheit vorzuenthalten und die demokratische Opposition zum Schweigen zu bringen. Jetzt haben sie zugegeben, was wir seit Jahren gesagt haben. Deshalb haben wir eine Zunahme der Unterstützung für unsere Bewegung und unsere Botschaft findet im Iran mehr Resonanz als zu irgendeiner Zeit.

Können Sie irgendeine Voraussage machen, wer der nächste Präsident werden könnte? Wie sehen Sie das?
Erstens muss ich wiederholen, dass das Ergebnis der Wahl im Iran nicht vom Volk, sondern von der Machtbalance innerhalb des Regimes bestimmt wird. Es wird wirklich Zeit, dass die westlichen Politiker aus ihrem Schneckenhaus herauskommen, um die Wirklichkeit zu sehen.
Zweitens wurden alle Kandidaten nicht nur vom Wächterrat, sondern vom Obersten Führer persönlich gebilligt, bevor sie ins Rennen gehen konnten. In einer Wahl ohne echte Opposition, wo die Wahl, vor die die Menschen gestellt werden, nur für mehr Elend für das iranische Volk steht, macht eine solche Wahl keinen Unterschied. Deshalb fallen alle Kandidaten in den Bereich dessen, der für Khamenei akzeptabel ist.
Alles deutet darauf hin, dass Khamenei lieber Raisi als nächste Schachfigur für seine Diktatur einbringen würde, aber es gibt für ihn auch die rote Linie, dass die Wahl nicht zu einem Aufstand als Ergebnis der Verstärkung der internen Fehden führt. Rohanis neue Äußerungen haben deshalb auch darauf gezielt, diese Botschaft an Khamenei zu übermitteln, dass eine Entscheidung für Raisi für ihn teurer zu stehen käme. Obwohl Khamenei das letzte Wort hat, haben trotzdem die verletzliche Position des ganzen Regimes und die Furcht vor einem massenhaften Aufstand verbunden mit der Tatsache, dass er bis zu einem gewissen Grade aus dem Zentrum des Regimes heraus geraten ist  und den Zugriff auf die  Bevölkerung verloren hat, seinen Händen Fesseln angelegt.
In jedem Fall jedoch wird das Ergebnis ein viel schwächeres und verletzlicheres Regime sein. Darin besteht das Dilemma von Khamenei und das ist die Sackgasse, in der sich das Regime sieht.