Zehn Fesseln der iranischen Wirtschaft

Zehn Fesseln der iranischen Wirtschaft

Erstellt: 29. April 2014

Ein Beitrag von Javad Dabiran
Iran- und Nahost-Experte, NWRI-Deutschlandsprecher, Exil-Iraner

Eine Studie – Teil I 

Huffington Post Online 24.04.2014- Am 19. Februar 2014 hat Khamenei, das geistliche Oberhaupt des iranischen Regimes, ein aus 866 Wörtern bestehendes Dekret erlassen. Darin verkündet er den drei Staatsorganen seines Regimes in 24 Punkten die Richtlinien für eine „Wirtschaft des Widerstands“. In der Einleitung wird diese „Wirtschaft des Widerstands“ als ein einheimisches Wirtschaftsmodell definiert, das aus der revolutionären und islamischen Kultur hervorgeht.
Die 24 Punkte dieses Dekrets sind jeder für sich ausgesprochen anspruchsvoll, in ihrer Gesamtheit jedoch jenseits der Realität. So sollen gleichzeitig die Beschäftigung ausgebaut, die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Gewinne maximiert, alle Gesellschaftsklassen beteiligt, eine wissensbasierte Wirtschaft gefördert, die Gewinne gerecht verteilt, die inländische Produktion gesteigert, das Finanzsystem des Landes umfassend reformiert, die strategischen Öl- und Gasreserven intensiv genutzt werden und so weiter und so fort …

Wie das alles realisiert werden soll, steht in den Sternen. Eines ist allerdings klar: Das Problem der „Ausweglosigkeit“ des Regimes muss unter allen Umständen vertuscht werden. Während also dieses Dekret aus wirtschaftlicher Sicht wirkungslos bleibt, zeigt es aus politischer Sicht die Marschrichtung, die Khamenei am 8. Februar 2014 ansprach: „Der Weg zur Beseitigung der wirtschaftlichen Probleme des Landes besteht nicht in dem Blick nach außen, im Blick zur Aufhebung der Sanktionen durch den Feind …, vielmehr besteht die Lösung in dem Blick nach innen.“
Damit widerspricht Khamenei allerdings komplett der Strategie des iranischen Präsidenten, Mullah Hassan Rouhani. Dieser sieht den Ausweg aus der internen wirtschaftlichen Krise in der Entschärfung des Konfliktes mit dem Westen – USA und EU – durch Vereinbarung eines nuklearen Abkommens. Es scheint, als würde der Iran an dieser Stelle „zweigleisig“ fahren und sich je nach Situation für eine Strategie des Blickes nach „außen“ oder nach „innen“ entscheiden.
Dafür spricht auch, dass Khamenei keinerlei politische oder ideologische Hemmschwelle für umfassende wirtschaftliche Beziehungen mit dem Westen hat, solange es dem Regime nützt. In den acht Jahren der Präsidentschaft des Khamenei-Gefolgsmannes, Mahmoud Ahmadinedschad erreichte der Import ausländischer Wirtschaftsgüter rund 80 Mrd. US-Dollar, das ist ein Spitzenwert in der Geschichte Irans.
In der genannten Periode war der iranische Markt mit den neuesten Gütern aus den USA, wie Produkte von IBM oder Apple, bestens versorgt. Die entsprechenden Importe kamen aus den südlichen Nachbarstaaten. Außerdem erfüllte Ahmadinedschad unter der Schirmherrschaft Khameneis beinahe alle Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (Structural Adjustment Programs – SAPs), indem er die Einfuhrzölle für viele Güter minimiert, die Subventionen aufgehoben und die staatlichen Unternehmen privatisiert hat.
Die Privatisierung hat allerdings einen Schönheitsfehler: Denn die Staatsunternehmen sind nicht beim privaten Sektor, sondern in den Händen der Pasdaran, also der Revolutionswächter, gelandet. Und hier stellt sich die Frage, ob die Mullahs in der Lage und willens sind, die iranische Wirtschaft von den destruktiven Regeln zu befreien, die sie zu ihrem eigenen Vorteil selbst aufgestellt haben.
Reichtum und Verhängnis
Schätzungen zufolge überstieg das Außenhandelseinkommen während der achtjährigen Präsidentschaft Ahmadinedschads die Marke von 1.000 Mrd. US-Dollar. Der Iran verfügt weltweit über die zweitgrößten Erdgas- sowie die drittgrößten Erdölressourcen. Ferner liegt das Land am (Welt-)Kupfergürtel und verfügt über große Metallvorkommen wie zum Beispiel Eisen, Aluminium, Blei und Zink. All das weckt globales Interesse. Gleichzeitig liegen die Arbeitslöhne im Iran auf einem sehr niedrigen Niveau. Trotz dieser hervorragenden Konstellation droht dem Iran ein wirtschaftlicher Kollaps – falls sich die Entwicklung der letzten beiden Jahre fortsetzt.
Wie konnte es dazu kommen? Die Sanktionen des Westens sind jedenfalls nicht der Grund. Schließlich grenzt der Iran an fünfzehn Nachbarländer und das Land unterhält – auch in Zeiten der Sanktionen – intensive und lukrative Handelsbeziehungen mit Volkswirtschaften wie China, Indien, Brasilien, Türkei, Südafrika und Südkorea.
Was ist es dann? Tatsächlich wurde die iranische Wirtschaft von hausgemachten und internen Fehlentwicklungen und -entscheidungen untergraben. Letztendlich blieben den Mullahs „nur noch“ die Erlöse aus dem Ölexport. Hier wurde im Jahr 2011 mit 110 Mrd. US-Dollar das Maximum erreicht. Damit konnten die politischen und wirtschaftlichen Lücken des Landes noch einmal geschlossen werden. Als jedoch der Ölexport im Juli 2012 bis auf 20 bis 25 Prozent seines ursprünglichen Niveaus zurückging, da fiel das Kartenhaus der iranischen Wirtschaft in sich zusammen: Die Inflation kletterte bis auf 50 Prozent, die offizielle Währung des Landes verlor 80 Prozent ihres Wertes, die Arbeitslosigkeit stieg auf 30 Prozent und es folgte ein negatives Wirtschaftswachstum in Höhe von 5,6 Prozent.
Die unsichtbare Hand
Die iranische Wirtschaft wird von einer unsichtbaren Hand gesteuert, jedoch nicht im Sinne der Metapher des schottischen Ökonomen Adam Smith. Diese unsichtbare Kraft hat ihren Ursprung in der Konfrontation der iranischen Gesellschaft mit dem herrschenden Mullah-Regime und ist Ursache der wichtigsten Ereignisse der iranischen Wirtschaft in den letzten Jahren.
In der gesamten iranischen Gesellschaft existiert ein tiefer Drang zur Veränderung der politischen Struktur, der sich in den täglichen Auseinandersetzungen zwischen den Bürgern, insbesondere der Jugend, und den Ordnungskräften manifestiert. Die Volksaufstände der Jahre 2009 und 2011 waren der Ausdruck dieser ständigen Konfrontation.
Die Aufstände wurden zwar gewaltsam niedergeschlagen, aber der Widerstand glimmt wie ein Feuer unter der Asche weiter. Um ihre Macht zu erhalten, steht die Beseitigung dieser Konfrontation ganz oben auf der Agenda der Mullahs und beherrscht alle Angelegenheiten wie Politik, Sicherheit, Wahlen, Aufteilung der Provinzen, Absetzung und Ernennung von Staatsbeamten etc. Die akute Angst Khameneis vor einem erneuten Aufflammen der Volksaufstände zwang ihn, die Präsidentschaft Hassan Rouhanis bei den Wahlen im Jahr 2013 anzuerkennen. Er fürchtete, dass die Bürger bei einer Stichwahl wie damals aufbegehren und auf die Straße gehen würden.Teil II folgt.